Erneute Jahrhundert-Dürre am Amazonas

Amazonien leidet (mal wieder) unter einer Jahrhundert-Dürre und wieder ist es die schlimmste seit Menschengedenken. Sie reiht sich nahtlos ein in die Reihe der anderen sechs Jahrhundertereignisse in Amazonien, die wir dort seit 2005 in unregelmäßigen Abständen beobachten. Ihre Intensität nimmt mit jedem Mal zu und die aktuelle Dürre stellt alle bisherigen in den Schatten. Die Schuld dafür wird dem Klimaphänomen El Niño gegeben, das sich in Kombination mit dem Faktor Mensch zu einer solchen Katastrophe aufschwingt.

Der wasserreichste Fluss der Erde ist mit einem Pegelstand von weniger als 13 Metern bei Manaus auf den niedrigsten Stand seit Beginn der kontinuierlichen Aufzeichnungen im Jahr 1902 gesunken. Normalerweise steht das Wasser dort um diese Jahreszeit rund 4 Meter höher. Erst vor zwei Jahren wurde dort im Juni der Rekordpegelstand von knapp über 30 Metern gemessen.

Durch den niedrigen Wasserstand ist somit auch der Zugang zu Nahrungsmitteln und Trinkwasser für viele Menschen bereits stark eingeschränkt.

Betroffen sind fast eine halbe Million Menschen, in 50 Städten entlang des Flusses gilt bereits der Ausnahmezustand. Mehr als 100000 Menschen haben akute Probleme mit der Trinkwasserversorgung und sind vom Versorgungsweg Fluss komplett abgeschnitten.

Zusätzlich zur langen Trockenphase hat die andauernde Hitzewelle mit in Amazonien bisher unbekannten Temperaturen bis zu 44°C in den vergangenen Wochen für ein Ansteigen der Wassertemperaturen gesorgt.

Die Flüsse haben Fieber

In den Flüssen wurden bis zu 39°C gemessen – neun Grad mehr als normalerweise üblich. Eine für Flussökosysteme fatale Temperatur, die für die physiologischen Prozesse der aquatischen Lebewesen extremen (Fieber-)Stress verursacht und zusätzlich die Lösungsfähigkeit des Sauerstoffs im Wasser stark herabsetzt. Zehntausende Tonnen an Fischen sterben in den Restgewässern an diesem extremen Stress, Nahrungs- und Sauerstoffmangel. Im Lago de Tefé, einem großen See südlich des Amazonas starben Ende September in nur einer Woche mehr als 150 Delfine – rund 10 Prozent der gesamten Population. Die Wassertemperaturen lagen dort bei bis zu 40 Grad.

Dazu kommen weitere fatale Effekte, wie zum Beispiel die Tatsache, dass die komplett ungeklärten Abwässer der an den Flüssen gelegenen Städten in den mehr oder weniger ausgetrockneten  Gewässern nicht mehr verdünnt werden und somit zusätzlich zu Kloaken verkommen. So landen auch die gesamten Abwässer der Drei-Millionen-Metropole Manaus, deren Menge auch in Dürrezeiten konstant bleibt, ungeklärt im Rio Negro. In den mit den Abwässern stark belasteten Rest-Flussabschnitten entwickeln sich dann u.a. Blaualgen massenhaft, die wiederum toxische Substanzen in die Restgewässer abgeben und das Sterben z.B. der Fische noch beschleunigen.

El Niño und dessen „kleiner Bruder“ im Atlantik sind „schuld“

Als Ursache für die anhaltende Dürre nennen Forschende die durch den Klimawandel verstärkten Warmwasseranomalien im Ostpazifik sowie im tropischen Atlantik. „El Niño“ im Ostpazifik tritt aktuell zusammen mit dem sogenannten „Atlantik Niño“ auf, welcher im Vergleich etwas schwächer ausgeprägt ist.

Beide Klimaphänomene zusammen führen aufgrund komplexer Strömungsveränderungen dazu, dass die Regenfälle im Amazonasbecken abnehmen. Unsicher ist, wie sich „El Niño“ in den nächsten Monaten im Amazonas auswirkt.

Erschwerend kommen nun auch noch die direkten menschlichen Einflüsse hinzu. Die weiterhin andauernden Abholzungen verschärfen die Situation und die Dürre wiederum trägt zu einem sprunghaften Anstieg der Feuergefahr und des Abbrennens weiterer Waldflächen bei. Ein Teufelskreis.

Mit dem Fehlen des Flusswassers mussten bereits vor einigen Wochen sämtliche Turbinen der vor wenigen Jahren am Rio Madeira erbauten Megastaudämme abgeschaltet werden.

Mit dem Auftreten der Jahrhundertdürre kommt es aktuell in Amazonien auch zu einer Rekordzahl an Bränden. Der Bundesstaat Amazonas verzeichnete einen  beispiellosen Oktober, was die Zahl der Brände im Jahr 2023 angeht. Die Zahl der Brandherde in dem nordbrasilianischen Bundesstaat erreichte im Oktober fast das Dreifache des monatlichen historischen Durchschnitts und erzeugte eine enorme Rauchmenge, die Manaus zu Beginn des Monats zu einer der Städte mit der schlechtesten Luftqualität der Welt machte.

Satellitenaufnahme mit Angabe der Kohlenmonoxidwerte aus den Brandherden.
https://metsul.com/mapa-mostra-emissoes-recordes-por-queimadas-na-amazonia/


In der letzten Oktoberwoche zeichnete der europäische Satellit Sentinel-5p die enormen Rauchmengen auf, die den Bundesstaat Amazonas bedeckten. Auch über Bolivien, wo es im Oktober ebenfalls zu zahlreichen Bränden kam, war viel Rauch zu sehen, und zwar mehr als in der Vergangenheit. Auf dem Satellitenbild war zu sehen, wie der Rauch durch das Innere Südamerikas in Richtung Süden zog, getragen von Windströmungen, die mit einem Jetstream in niedriger Höhe in der Atmosphäre verbunden sind. Der Rauchkorridor aus dem Amazonasgebiet und Bolivien, der den halben Kontinent durchzieht, wurde durch zahlreiche Brände in Paraguay verstärkt, die durch die Hitzewelle, die das Land verwüstet, verursacht wurden. Nach Angaben von Inpe wurden im Bundesstaat Amazonas zwischen dem 1. und 21. Oktober 3.159 Brandherde per Satellitenüberwachung beobachtet. Diese Zahl übertrifft den staatlichen Rekord für Oktober von 2.409, der im Oktober 2009 aufgestellt wurde, und liegt deutlich über dem historischen monatlichen Durchschnitt von 1998 bis 2022 von 1.313 Hotspots.

Seit Beginn dieser Klima- und Wetterextreme am Amazonas im Jahr 2005 mit bisher sieben Jahrhundertereignissen an Dürren und sintflutartigen Überschwemmungen innerhalb eines Zeitraums von knapp 20 Jahren, befinden wir uns in einem gigantischen, unfreiwilligem Feldversuch, dessen Ausgang wir nicht abschätzen können. Niemand weiß, wie sich diese extremen Stresssituationen auf die Wälder auswirken. Mit jedem neuen dieser Ereignisse erhöht sich die Furcht vor einem flächenhaften Absterben. Wir müssen alles tun – letztlich auch um unsertwillen –  um ein solches Szenario zu vermeiden. Wir müssen endlich aufhören, die Regenwälder abzuholzen!

Für den Moment bleibt zu hoffen, dass die Wälder schnell die Kräfte aktivieren, das zu tun, was sie normalerweise charakterisiert – genug Feuchtigkeit in die Atmosphäre zu entlassen, um die lange ersehnten Regenfälle in Gang zu setzen. (R.P.)