Diese Tage erreichte der Rio Negro, einer der größten Zuflusse zum Amazonas, einen Rekordpegelstand. Niemals zuvor seit dem Beginn der regelmäßigen Messungen in Manaus im Jahre 1902 erreichte der Pegel die 30 Metermarke. Jetzt hat sie der Fluß gerissen. Es ist mittlerweile das 6.(!) Jahrhunderthochwasser am Rio Negro während der letzten 15 Jahre, in welchen jeweils die 29 Metermarke überschritten wurde. Eine solche Konzentration von Extremhochwassern im Wechselspiel mit extremen Dürrejahren hat es am Amazonas seit Beginn der Aufzeichnungen noch nicht gegeben.
Die Konzentration dieser Ereignisse in einem so kleinem Zeitraum gibt Anlaß zu großer Beunruhigung und wird auf den Klimawandel zurückgeführt, von dem man lange Jahre annahm, dass das Amazonasgebiet alleine aufgrund seiner gigantischen Größe immun dagegen sein könnte. Die Realität zeigt das Gegenteil.
Gravierend sind die Auswirkungen – so kann zum Beispiel niemand abschätzen, wie sich der Streß aus diesen Fluten in Abwechslung mit den parallel auftretenden extremen Dürren auf die Regenwälder auswirkt. Hier befinden wir uns in einem unfreiwilligen Feldversuch mit ungewissem Ausgang.
Unmittelbare Auswirkungen haben die Extreme vor allem auf die Indigenen Gruppen, die im Einzugsbereich des Rio Negros leben. So rauben die extremen Hochwässer den Indigenen einen wichtigen Baustein ihrer Nahrungsmittelversorgung. Der Anbau vor allem des Grundnahrungsmittels Maniok ist in den Regionen des Oberlaufs des Flusses nicht mehr möglich, weil durch die langen Überflutungen eine ganze Jahreszeit für die Produktion auch von Mais, Bananen, Kartoffeln und anderer wichtiger Produkte fehlt. Ein großes Problem stellen die Extreme auch für viele Fischarten im Rio Negro dar, weil Laichzeiten und Laichmöglichkeiten entfallen. Damit ist mittelfristig eine weitere wichtige Nahrungsquelle für die Indigenen und für andere traditionelle Flußuferbewohner in großer Gefahr. Auf die Auswirkungen auf das eng verzahnte ökologische Gefüge im Flußsystem kann hier gar nicht detailliert eingegangen werden, da es in vielen Teilen noch nicht ausreichend verstanden wird und sich somit unserer Beurteilung entzieht. Abschätzbar ist z.B., dass sich durch die veränderten Flutpulse die Fruchtreife vieler Regenwaldbäume verschiebt, die für die Ernährung und Fortpflanzung vieler Fischarten essentiell ist. (RP)