Interview mit Dr. Rainer Putz zur aktuellen Lage am Amazonas

Herr Putz, sie sind seit über 30 Jahren regelmäßig am Amazonas unterwegs. Was können Sie uns über die aktuelle Lage in Amazonien berichten?

Amazonien wird seit 20 Jahren von sog. Jahrhundertereignissen heimgesucht, von Dürren und Sintfluten, die im schlimmsten Fall einmal in Hundert Jahren vorkommen. Wir haben in den letzten 20 Jahren 8 solche Ereignisse gezählt – innerhalb von 20 Jahren! Im vergangenen Oktober ging eine nie zuvor beobachtete, zweijährige Dürre zu Ende. Das bedeutet im wasserreichsten Gebiet der Erde stark eingeschränkte Schiffbarkeit der großen Wasserstraßen, damit Probleme bei der Versorgung der Menschen, fehlendes Trinkwasser. Welche Auswirkungen diese Ereignisse für die Ökosysteme in Amazonien haben, können wir nicht im Detail beurteilen. Dazu verstehen wir sie immer noch zu wenig. Tatsache ist, dass sowohl die terrestrischen als auch die aquatischen Ökosysteme extrem unter Stress kommen. Wir haben hunderte von Delphinen qualvoll sterben sehen, tausende Tonnen an Fischen, das sind die auffälligsten Lebewesen in diesen riesigen Flusssystemen. Was mit den unzählbaren Klein- und Kleinstlebewesen in den Restgewässern passiert und damit mit den Nahrungsketten, können wir nur erahnen – in jedem Fall nichts Gutes. Gleiches gilt für die Wälder: wie reagieren sie mittelfristig auf diese Extreme? Hier läuft ein unfreiwilliger Feldversuch im Großmaßstab, dessen Auswirkungen wir nicht abschätzen können. Im schlimmsten Fall sterben sie großflächig ab.

Und wie ging es nach dieser Dürre weiter?

Es hat zum Glück angefangen ergiebig zu regnen. Dadurch wurden zunächst tausende von Brandherden gelöscht, die Amazonien in Rauch hüllten und die den Wald letztlich zu einem CO2-Emittenten gemacht haben, der mehr Treibhausgase freisetzt als er bindet. Die Freude über den Regen bekam jedoch bald einen Dämpfer, denn es hat über weiten Gebieten Amazoniens nicht mehr aufgehört. Mit der Folge, dass der Rio Madeira von einem Rekord-Pegel-Tief von 25 Zentimetern Ende Oktober 2024, auf einen gegenteiligen Rekordpegel von über 25 Metern bis Mitte April 2025 anschwoll, also gravierende Überschwemmungen verursachte.  Der Zyklus der Extremereignisse geht ungebremst weiter.

Die Dorfgemeinschaft Realeza an der Grenze zu unserem Reservat „Laranjal“ am Rio Madeira im Hochwasser Ende April 2025

Das hört sich sehr besorgniserregend an. Gibt es noch Möglichkeiten einzugreifen und wie kann ich persönlich dazu beitragen, die Regenwälder am Amazonas zu erhalten?

Wir müssen hier unterscheiden zwischen den potenziellen Gefahren, die von den bereits bestehenden, durch den Klimawandel ausgelösten Bedrohungen, wie Dürren und Sintfluten ausgehen und denjenigen, die die Menschheit durch Raubbau, Brände und Rodungen z.B. für Sojafelder selbst beiträgt. Bei den – wohlgemerkt möglichen – klimainduzierten Folgen können wir nichts mehr tun, bei den unmittelbar menschgemachten jedoch schon. Bei der Wichtigkeit der Regenwälder am Amazonas auf unser Klima, auf unsere Lebensbedingungen insgesamt, sollten wir alles tun, um diese Wälder zu erhalten. Sie sind das einzige klimarelevante Ökosystem der Erde, auf das wir noch einwirken können, indem wir einfach aufhören, die Wälder zu zerstören. Dazu kann jeder einzelne auch bei uns beitragen, indem er z.B. seinem Fleischkonsum kritisch hinterfragt. Ein Gutteil des Sojas, für das am Amazonas Regenwälder gefällt werden, landet als Futter in der Massentierhaltung. Dann gibt es die Möglichkeit Regenwaldprodukte zu kaufen, wie z.B. Köperpflegemittel aus hochwertigen Regenwaldölen, Seifen, Cremes, Hautöle, exotische Lebensmittel, die einer nachhaltigen Waldnutzung entstammen und so unmittelbar dafür sorgen, dass die traditionellen Waldbewohner:innen unterstützt werden, also letztlich die Hüter der Wälder.

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