Heftige Kritik an Erschließungsmanahmen, die die neue brasilianische Regierung unter Staatspräsident Lula in den Regenwäldern Amazoniens plant, übt die Internationale Expertenkommission (International Advisory Group-IAG ), die das “Pilotprogramm zur Rettung der Wälder Brasiliens” begleitet. Sie übergab ihr Gutachten im letzten Jahr dem brasilianischen Umweltministerium. Die fünf brasilianischen und zwei deutschen Wissenschaftler befassten sich mit dem im Mehrjahresplan 2004 – 2007 der Regierung Lula vorgesehenen Ausbau des Rio Madeira als Wasserstraße, der Asphaltierung der Bundesstraße BR 163, die von Cuiaba nach Belem quer durch Amazonien führen soll, einer Gaspipeline von Urucu nach Porto Velho sowie zwei großen Staudammvorhaben zur Stromgewinnung. “Wir mussten in unserem Gutachten die Regierung Lula auffordern, alle diese Vorhaben grundlegend zu überdenken, denn wir konnten nachweisen, dass im Falle der Realisierung katastrophale Folgen für die dort lebende Bevölkerung und für die Wälder Amazoniens vorprogrammiert sind” begründet Prof. Dr. Manfred Niekisch, Mitglied der Kommission und Vizepräsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), die ungewöhnlich scharfe Formulierung des Gutachtens. Bedrohte Existenzen Als Beispiel für die Unsinnigkeit der Vorhaben führt Niekisch den Ausbau des Rio Madeira zur Wasserstraße an. “Das brasilianische Konsortium begründet die Pläne unter anderem damit, bei verbesserten Transportmöglichkeiten könne die Sojaproduktion von derzeit drei auf dann 28 Millionen Tonnen gesteigert werden. Dazu benötigt man bei den vorgesehenen 500 Quadratkilometern Staufläche weitere 80000 Quadratkilometer Anbaufläche. und zwar vor allein in bisher intakten Waldgebieten. Davon ist nirgends die Rede. Sogar Indianerschutzgebiete wären betroffen-, rechnet Niekisch vor. Die Experten wiesen auch darauf hin, dass zehntausende von Kleinbauern. die bisher an den Flussufern wirtschaften, und viele Dörfer, die vom Fischfang leben, durch die Staumaßnahmen ihre Lebensgrundlage verlören und dann in neu zu erschließende Waldgebiete ausweichen müssten. Kahlschlag außer Kontrolle “Die Lage vor allem im Süden Amazoniens ist schon jetzt völlig chaotisch”, charakterisiert Prof. Nickisch, der an der Universität Greifswald internationalen Naturschutz lehrt, die aktuelle Situation. “Allein die Aussicht auf die geplanten Maßnahmen führt in großem Stil zu illegaler Landbesitznahme und zum Kahlschlag auch geschützter Primärwälder. Bei Überflügen in den Bundesstaaten Amazonas und Rondonia stellten wir fest, dass es nicht arme Kleinbauern sind, die dort die Wälder zerstören, sondern agroindustrielle Großbetriebe, die mit schwerem Gerät große Waldflächen illegal freischlagen.” In Gesprächen mit den Experten bestätigten die staatliche Naturschutzbehörde IBAMA und die Landvergabe- und Katasterbehörde INCRA, dass sie kaum über genügend Mittel verfügen, um die Lage auch nur einigermaßen unter Kontrolle zu halten. “In Brasilien gibt es noch nicht einmal ein funktionierendes amtliches Grundstücksverzeichnis” ergänzt Niekisch. Ein weiteres Beispiel für Fehlplanung ist die geplante Gaspipeline zur Versorgung der 400.000-Einwohner-Stadt Porto Velho mit Strom. “Die Pipeline würde durch noch ungestörten Regenwald führen, ist aber völlig unsinnig. Es gibt Alternativen, beispielsweise die Verlängerung einer schon bestehenden Stromleitung.” Im übrigen sei hierbei nicht einmal geklärt, wem die Flächen an der 520 km langen Trasse gehören. Ähnlich schlampig sei die erste Umweltverträglichkeitsstudie zu den Staudämmen durchgeführt worden. “Hier werden Fischarten genannt, die nur noch mehr als tausend Kilometer entfernt in den Küstenwäldern vorkommen, aber sicher nicht in Zentralamazonien, wo man die Staudämme plant”, kritisiert der Biologe Niekisch. Rückzug ist die falsche Lösung Die brasilianische Umweltministerin Marina Silva versicherte dem Expertenteam, dass sie sich der Problematik bewusst sei und die Vorschläge intensiv prüfen werde. “Wir wünschen Frau Silva. dass sie sich in der Regierung Lula durchsetzen kann, doch ist Eile geboten”, fasst Niekisch die Stimmung des Teams zusammen, das im Rahmen des “Pilotprogramms zur Rettung der Wälder Brasiliens” tätig ist. Deutschland ist an der Finanzierung dieses seit zehn Jahren bestehenden Programms mit rund 350 Millionen US-Dollar beteiligt. “Nach brasilianischen Regierungsangaben ist die Abholzungsrate in den Regenwäldern des Amazonas in den letzten Jahren weiter stark angestiegen. 16 Prozent der Wälder gelten offiziell als vernichtet” führt Niekisch aus – doch ohne dieses Programm wäre die Situation wohl noch viel schlimmer.” Gerade jetzt dürften sich die internationalen Geber nicht aus Brasilien zurückziehen. “Aber natürlich wollen wir einen auf Dauer funktionierenden, innerbrasilianischen Finanzierungsmechanismus für den Schutz der Amazonaswälder entwickelt sehen. Deshalb schlagen wir eine Amazonas-Steuer auf alle Produkte von dort vor. Damit könnte Brasilien seine Tropenwälder erhalten. Dies liegt im brasilianischen und internationalen Interesse.”
Regenwald-Institut e.V.
Institut für angewandten Regenwaldschutz
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