“Wir essen mit jedem Billigschnitzel ein Stück Regenwald auf” Ein Interview mit Rainer Putz

 Die tropischen Regenwaldgebiete im Amazonas beeinflussen sogar das Wetter in Mitteleuropa. Über die Folgen der zunehmenden Zerstörung spricht der Biologe Dr. Rainer Putz vom Regenwald-Institut in Freiburg im Interview. ONETZ: Herr Dr. Putz, sie haben fünf Jahre im Regenwald geforscht. Worin liegt die besondere Faszination des Regenwaldes? Rainer Putz: Die Faszination liegt für mich vor allem in seiner Größe und seiner ungezähmten Wildnis und Ursprünglichkeit, der durchdringenden feuchten Hitze und den oftmals unglaublichen Naturschauspielen die sich dort oft beobachten lassen. Danach kommt das üppige, pulsierende Leben, das der Regenwald beinhaltet und die Faszination über ökologischen Zusammenhänge der Lebensgemeinschaften, die wir bis heute gerade einmal in Ansätzen kennen und noch weniger verstehen. ONETZ: Wegen der jüngste Brände im Amazonas-Gebiet ist das Thema Regenwälder wieder auf der Tagesordnung. Warum sind diese so wichtig? Rainer Putz: Die Regenwälder am Amazonas sind neben ihrer schier unglaublichen Artenvielfalt einer der wichtigsten globalen Regulative für das Weltklima. Wenn die Regenwälder dort eines Tages verschwunden sind, Gerät das Weltklima aus menschlicher Sicht gesehen komplett aus den Fugen. Nichts wird mehr so für uns sein wie bisher. Unsere Lebensgrundlagen – Wasserversorgung, Landwirtschaft, Wetter – alles, was für uns heute selbstverständlich und angenehm ist, wird sich dramatisch zu unseren Ungunsten verändern. Die Menschheit wird schnell existenzielle Probleme bekommen. Riesige Migrationsströme werden die Folge sein. ONETZ: Wie tragen die Europäer zur Zerstörung des Regenwaldes bei? Rainer Putz: Wenn man sarkastisch sein will, essen wir mit jedem Billigschnitzel aus dem Discounter ein Stück Regenwald auf. Wir füttern einen Großteil unserer Masttiere, die oft unter fürchterlichen Bedingungen gehalten werden mit Soja aus Amazonien, das im übrigen alles genmanipuliert ist. Für den Sojaanbau werden gigantische Flächen gerodet. Aber auch die Rohstoffe für unsere Handys, die fast jährlich gewechselt werden, stammen zu einem Gutteil aus Minen im Amazonasgebiet. Und unser überbordender Konsum im Allgemeinen geht auch auf Kosten der Regenwälder. ONETZ: Die Länder im Süden klagen, auf ihnen laste die Verantwortung für den Erhalt der Regenwälder. Viele sehen sich in ihrer Entwicklung behindert. Ist diese Haltung berechtigt, zumal die Europäer ihre Wälder auch abgeholzt haben? Rainer Putz: Das ist ein sehr schwieriger Aspekt. Die aktuelle brasilianische Regierung sieht in den Regenwäldern tatsächlich nur das enorme wirtschaftliche Potenzial. Der Wald und die Indianer haben keinen ökonomischen “Wert”. Für die politischen Eliten sind wir tatsächlich Heuchler und natürlich nicht ganz zu Unrecht. Wir und die Weltgemeinschaft insgesamt müssen den verantwortlichen brasilianischen Politikern jedoch klar machen, dass die Regenwälder am Amazonas aufgrund ihrer bereits erwähnten Eigenschaften ein Welterbe darstellen, das für den gesamten Planeten von existenzieller Wichtigkeit ist. ONETZ: Können Wälder in Europa die Funktion übernehmen? Rainer Putz: Nein, bei weitem nicht. Wälder in gemäßigten Breiten – und wir sprechen hier von reinen Wirtschaftswäldern – können nicht ansatzweise die Funktionen erfüllen, die die Wälder am Amazonas haben. ONETZ: Ist es schon zu spät für den Erhalt der Regenwälder? Rainer Putz: Noch ist es nicht zu spät, aber wenn die derzeitige Entwicklung so weiter geht, dann werden wir sie unwiderruflich verlieren. ONETZ: Was kann jeder tun? Rainer Putz: Wir müssen dringend unseren überbordenden Fleischkonsum reduzieren, wo immer es geht, Produkte mit Palmöl meiden, und letztlich müssen wir unseren Konsum insgesamt kritisch hinterfragen. Wir benötigen dafür ja heute schon die Rohstoffe von beinahe zwei Erden, und wir Menschen in den Industrieländern repräsentieren lediglich eine Minderheit. Milliarden Menschen in Entwicklungsländern wollen auch unseren Lebensstandard. Wenn es so weiter geht, ist es absehbar, dass wir den Planeten und letztlich uns selbst an die Wand fahren. Quelle: ONETZ, Der Neue Tag, Sulzbach-Rosenberger, Amberger Zeitung

de_DE