Kampf um Diamanten im brasilianischen Regenwald

Unschätzbaren Reichtum verhieß das Diamantenvorkommen, auf das Antonio José Alves dos Santos tief im brasilianischen Regenwald stieß. Dass es in einem indianischen Reservat lag, kümmerte ihn wenig. Die Ureinwohner aber wohl: Statt reiche Beute zu machen, rettete Dos Santos mit Mühe seine nackte Haut. Dos Santos ist einer der Überlebenden eines Massakers, das die brasilianische Gesellschaft schockierte. Der Tod von 29 Diamantenschürfern, erschossen oder erschlagen vom Stamm der Cinta Larga, brachte einen seit langem schwelenden Konflikt ins öffentliche Bewusstsein: Wem gehören die Bodenschätze im Amazonasgebiet, das die größten bekannten Diamantenvorkommen Südamerikas beherbergt? Der blutige Überfall der Indianer am 7. April setzte dem vierjährigen Ansturm von Schatzsuchern aus ganz Brasilien auf das Roosevelt-Reservat im Nordwesten des Landes vorläufig ein Ende. «Sie haben zwei Männer sofort getötet – Peng! Peng! Dann haben sie die anderen aneinandergefesselt und sie wie Tiere abgeschlachtet», berichtet Dos Santos. Der Indianerhäuptling Pio Cinta Larga bestreitet den Überfall nicht. «Die Tötungen waren eine Warnung. Wir wollen keine Weißen hier.» Er weist auf die Vorgeschichte hin: Wieder und wieder seien die «Garimpeiros», wie die Diamantenschürfer in Brasilien heißen, widerrechtlich in das Reservat eingedrungen. Schon die Anwesenheit auf indianischem Gebiet ist Nicht-Indianern in Brasilien mit wenigen Ausnahmen verboten, der Abbau von Bodenschätzen erst recht. Doch das schreckte die überwiegend bettelarmen Garimpeiros nicht davon ab, in dem rund 27.000 Quadratkilometer großen Gebiet ihr Glück zu suchen. Mit schlimmen Folgen für die Cinta Larga: Die Garimpeiros brachten Alkohol, Drogen und Geschlechtskrankheiten mit, die den nur 1.300 Köpfe zählenden Stamm in seiner Existenz bedrohten. Außerdem wollen die Ureinwohner, die den Schürfern anfangs gegen eine Gebühr bei der Suche nach Diamanten geholfen hatten, die Bodenschätze selbst abbauen. Um Konflikte zu verhindern, vertrieb die brasilianische Bundespolizei vor zwei Jahren mehrere tausend Zugewanderte aus dem Roosevelt-Reservat – aber zahlreiche kehrten zurück. Seit 1999 wurden nach Schätzungen der Regierung Diamanten im Wert von umgerechnet rund zwei Milliarden Euro aus dem Gebiet geschmuggelt. Am 7. April riss den Indianern offenbar endgültig der Geduldsfaden. Den Konflikt regelten sie so, wie sie es nach Angaben von Häuptling Pio Cinta Larga gewohnt sind: «Wir sind Krieger. Ehe der weiße Mann kam, war keiner der Stämme hier mit dem anderen befreundet.» Die Anthropologin Carmen Junqueira weist zudem darauf hin, dass die Weißen den Cinta Larga früher ausschließlich mit Gewalt begegneten: «Für sie ist das unsere politische Sprache. Wir haben es ihnen vorgemacht.» Blutige Überfälle auf Dörfer des Stammes gab es noch bis in die 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, das Reservat wurde erst 1976 eingerichtet. Dieser geschichtliche Hintergrund stellt die brasilianische Polizei nun vor ein Problem. Sie will Pio Cinta Larga und elf seiner Stammesbrüder wegen der Ermordung der Garimpeiros vor Gericht bringen. Sie könnten jedoch für nicht schuldfähig befunden werden, wenn sie als der heutigen Kultur nicht hinreichend angepasst eingestuft werden. Der Garimpeiro Dos Santos hält dies für unangebracht. Die Cinta Larga seien modern gekleidet, führen Auto und schössen mit Gewehren statt mit Pfeil und Bogen, sagt er. Die meisten Opfer vom 7. März wurden laut gerichtsmedizinischer Untersuchung allerdings sehr wohl mit Pfeilen getötet – oder niedergeknüppelt. Einige Beobachter sehen in dem Massaker noch mehr als einen plötzlichen Gewaltausbruch seit Jahren gereizter Ureinwohner. Der Lokalpolitiker Celio Renato da Silveira glaubt, dass «organisierte Verbrechen» habe seine Hand im Spiel und verstecke sich hinter dem Sonderstatus der Indianer. Auch Carlos Fantim von der Vereinigung der Garimpeiros hält weiße Verbrecher, die die Diamanten für sich beanspruchten, für die Hintermänner. Solche Gerüchte über eine «Diamantenmafia» erhielten kürzlich neue Nahrung, als 15 Personen wegen Diamantenschmuggels verhaftet wurden – darunter drei Polizisten.

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