Brasilien hat gewählt und es war wohl die knappste und spannendste Wahl in der Geschichte des Landes. Bolsonaro erhielt 49,1 Prozent der Stimmen, Lula 50,9 Prozent. Spannend nicht nur, weil die beiden Kandidaten die brasilianische Bevölkerung in extreme Lager gespalten haben, die sich aggressiv-feindlich gegenüberstanden und stehen, sondern auch, weil das Land dadurch vor einer schicksalhaften politischen, wirtschaftlichen, sozialen und vor allem auch ökologischen Weichenstellung steht.
Auf der einen Seite, der amtierende Präsident Bolsonaro, der extrem rechte Kandidat für die gehobene weiße Mittel– und Oberschicht der Bevölkerung, der Wirtschaft und des sogenannten „Fortschritts“, getreu dem Motto: Brasilien über Alles—Gott über Alle“. Bolsonaro wurde dabei extrem von den von den wirtschaftlich und sozial mächtigen evangelikalen Kirchen unterstützt, die in im immer noch katholischsten Land der Erde großen Zulauf haben, über eigene Fernsehkanäle verfügen und ihre „Gläubigen“, angepasst an die soziale Struktur der Bevölkerung in gigantischen, prunkvollen Kathedralen und/oder in einfachen Holzhütten selbst in den letzten Winkeln Amazoniens indoktrinieren.
Auf der anderen Seite der Kandidat der Linken, Ex-Präsident Lula, nach einem von der politischen Rechten inszenierten Prozess zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe wegen Korruption verurteilt. Der Komplott und die Verschwörung gegen Lula wurde in einer sehenswerten ARTE-Dokumentation eindrucksvoll aufgearbeitet. Lula, der Kandidat des einfachen Volkes und sozialer Randgruppen, der Indigenen, der afro-brasilianischen Bevölkerung, welche die Hoffnung auf eine mögliche Flucht aus der Armut vereint. Für einen Gutteil des schmalen Anteils des brasilianischen Bildungsbürgertums an der Gesamtbevölkerung waren jedoch beide Kandidaten nicht wählbar. Bolsonaro als mit der Diktatur sympathisierender, rassistischer, offen homophober, amazonas- und frauenfeindlicher Kandidat auf der einen Seite und Lula als Kandidat, der das Land während seiner Präsidentschaft in einem unfassbar gigantischen Sumpf an Korruption und Vetternwirtschaft versinken ließ.
Noch nicht absehbar ist am heutigen Tag eins nach der Wahl, wie sich Bolsonaro verhalten wird. Er hat sich weder öffentlich zum Wahlausgang geäußert, noch diesen anerkannt. Tatsache ist, dass er während des Wahlkampfes verkündete, dass ihn „nur Gott“ aus dem Regierungsamt entfernen könne. Im schlimmsten Fall könnte er einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen, in dem sich die verfeindeten Anhänger der beiden politischen Lager bekämpfen.
Hoffnung macht das Wahlergebnis für Amazonien. Lula hat im Wahlkampf versprochen, gegen die ausufernde Zerstörung der Regenwälder vorzugehen. Dazu müsste er die praktisch abgeschafften Umweltbehörden IBAMA und ICM-Bio rasch wiederbeleben, mit Geldmitteln, Personal und Infrastruktur versorgen, um im Wettlauf um die Waldzerstörung nennenswerte Erfolge erzielen zu können. Noch im Oktober wurden am Amazonas vom brasilianischen Institut für Weltraumforschung (INPE) mehr als 75.000 Brandherde gezählt. So viele wie noch nie in der Geschichte der Überwachung Amazoniens aus dem Weltall. Grund für die Rekordzahl an Brandherden dürfte der Intention von Großgrundbesitzern und solchen, die es werden wollen geschuldet sein, noch schnell vor der (bis dato möglichen) Abwahl Bolsonaros Fakten zu schaffen und Land für eine landwirtschaftliche Nutzung zu gewinnen in dem Bewusstsein, nicht für diese Vergehen bestraft zu werden. Im Gegenteil – Bolsonaro hat während seiner Amtszeit regelrecht dazu aufgefordert, die Regenwälder abzuholzen und auch in die Schutzgebiete der indigenen Bevölkerung einzudringen, um dort zu roden und Bodenschätze abzubauen. Diese Vergehen werden nun künftig hoffentlich wieder verfolgt und unter empfindliche Strafen gestellt.
Generell wird es eine Riesenaufgabe sein, die Zerstörungen der Bolsonaro-Jahre wieder rückgängig zu machen. Zu radikal waren die Einschnitte, die diese Regierung vorgenommen hat. Sie hat unvorstellbare Umweltverbrechen erlaubt und legalisiert, sich als Handlanger der Großgrundbesitzer etabliert, diesen Leuten auch noch wertvolle Infrastruktur in Form von Straßen oder Häfen gebaut. Oberster Schutzpatron der Umweltverbrecher am Amazonas war der langjährige Umweltminister Bolsonaros, Ricardo Salles, der seine Arbeit vor allem darauf konzentriert hat, die Bestrafung dieser Menschen zu verhindern und unter dem „Schutzmantel“ der COVID-Pandemie die Zeit zu nutzen, um die Umweltgesetzgebung weiter radikal zu schleifen. All das führte dazu, dass aktuell in Amazonien 18 Bäume gefällt werden – pro Sekunde! Und so lange in diesen Kreisen die Meinung vorherrscht, dass „Wald eine Verschwendung von Landfläche“ sei, wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern.
Wenn es die neue Regierung ernst meint mit dem Schutz Amazoniens, um endlich Schluss zu machen mit dem Selbstmord globalen Ausmaßes, der dort betrieben wird, dann müssen so schnell wie möglich die Gesetze für den Schutz Amazoniens, die es in der Vergangenheit durchaus gab, wieder in Kraft treten, überwacht von den bereits genannten Umweltbehörden, die quasi abgeschafft wurden.
Auch unsere Arbeit zum Schutz der Regenwälder am Amazonas sollte nun wieder „einfacher“ werden. Die staatlichen Behörden Brasiliens hatten unserer Niederlassung in Brasilien ausdauernd alle möglichen Steine in den Weg gelegt, die zu finden waren. So wurde bereits die Gründung unserer brasilianischen Niederlassung massiv behindert, ebenso wie die Legalisierung „unseres“ Regenwaldes am Rio Madeira, die nun hoffentlich zügig ganz abgeschlossen werden kann.